Einige von Ihnen haben wahrscheinlich schon auf den nächsten Teil der mentalen Resilienzfaktoren gewartet – hier folgt eine weitere Fähigkeit, die laut Jutta Heller zu mentaler Stärke führt: Verantwortung.
Wundert Sie, dass genau diese Fähigkeit zu mehr Resilienz führt? Zugegeben, mich anfänglich schon. Denn eigentlich führt ja oft das „zu viel“ an Verantwortung, an Aufgaben und an Dingen die zu erledigen sind, zu einer erhöhten Stressreaktion und ganz und gar nicht zu Entspannung und Wohlbefinden. Nun, in diesem Zusammenhang ist Verantwortung hier auch nicht gemeint. Vielmehr geht es bei diesem Resilienzfaktor darum...
...in die Eigenverantwortung zu gehen. Und diese kann oft genau das Gegenteil von „Verantwortung im Außen übernehmen“ sein. Eigenverantwortlich zu denken und zu handeln bedeutet gut auf sich zu achten und seine Gedanken so auszurichten, dass sie förderlich sind und für Wohlbefinden sorgen. Dies mag für einige etwas naiv und fast zu leicht klingen. Für andere wiederum ist dieser Zugang ein fataler – birgt er doch die Idee, dass ICH selbst für mein Wohl verantwortlich sei? Und genau darum geht es bei dieser Fähigkeit: Sich bewusst zu machen, dass die Opferhaltung noch keinem dabei geholfen hat, einen Schritt weiterzugehen.
Dazu fällt mir eine Geschichte über den Erfinder der Glühbirne Thomas A. Edison ein:
Eines Tages kam Thomas Edison von der Schule nachhause und gab seiner Mutter einen Brief.
Er sagte ihr: „Mein Lehrer hat mir diesen Brief gegeben und sagte mir, ich solle ihn nur meiner Mutter zu lesen geben.“
Die Mutter hatte die Augen voller Tränen, als sie dem Kind laut vorlas: „Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule ist zu klein für ihn und hat keine Lehrer, die gut genug sind, ihn zu unterrichten. Bitte unterrichten Sie ihn selbst.“
Viele Jahre nach dem Tod der Mutter, Edison war inzwischen einer der größten Erfinder des Jahrhunderts, durchsuchte er eines Tages alte Familiensachen. Plötzlich stieß er in einer Schreibtischschublade auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Er nahm es und öffnete es. Auf dem Blatt stand geschrieben: „Ihr Sohn ist geistig behindert. Wir wollen ihn nicht mehr in unserer Schule haben.“
Edison weinte stundenlang und dann schrieb er in sein Tagebuch: „Thomas Alva Edison war ein geistig behindertes Kind. Durch eine heldenhafte Mutter wurde er zum größten Genie des Jahrhunderts.“
Wie ich die Welt sehe hängt immer davon ab, welche Glaubenssätze ich für mich als richtig ansehe – und dies liegt ganz allein in meiner Verantwortung. Kritische Stimmen könnten jetzt behaupten, dass dies ein Verkennen der Realität ist. Nun, es mag schon stimmen, dass es nicht immer so aussieht. Ich bin nicht unmittelbar dafür verantwortlich wenn ein Krieg in einem Land ausbricht, ein Terroranschlag den anderen in den Schlagzeilen jagt, mein Kind ein schlechtes Zeugnis nach Hause bringt, oder meine Firma, in der ich jahrelang gearbeitet habe, Konkurs anmelden muss. Hingegen wieviel Zeit ich mir zum Kraft tanken gebe, wie handlungsfähig ich mich selbst fühle, wie gut ich Dinge ruhen lassen kann, wieviel Potential ich in mir selbst sehe und wieviel Zeit ich in die Lösungsfindung investiere, das obliegt alleinig mir – und das nennen wir Eigenverantwortung.
Möglicherweise haben Sie sich bei den Schlagworten „Zeit ich mir zum Kraft tanken“ oder „Dinge ruhen lassen“ gewundert – entspricht diese Sichtweise ja eher der Wellness- und Entspannungswelt und nicht dem Bereich Verantwortung. In die Eigenverantwortung gehen wird oft mit „etwas TUN“ verwechselt. Doch das Gegenteil ist der Fall – eigenverantwortlich leben hat sehr oft rein gar nichts mit TUN zu tun. Eigenverantwortlich leben bedeutet auch, sich seiner Kräfte, Ressourcen aber auch Grenzen bewusst zu sein. Selbst die beste Batterie – vielen von Ihnen noch unter dem „Duracell-Häschen bekannt“ ist irgendwann leer. Fragen Sie sich also: „Wo sind meine Belastungsgrenzen?“ Wann habe ich mir mal Ruhe gegönnt? Wie gehe ich mit mir selbst und mit meinem Körper um?
Bin ich in der Verantwortung?
Ich möchte Ihnen dazu gerne eine kleine Übung angelehnt an Sylvia Kéré Wellensiek (Handbuch Resilienztraining) mitgeben, die Sie zu Hause anwenden können – Sie benötigen dafür max. 15 Minuten!
1. Nehmen Sie dazu Papier und Stift und notieren Sie bitte mal 5 Minuten lang alle Sätze, die Ihnen einfallen, die mit den Worten „Ich muss…“ oder „Ich sollte…“ beginnen – z.B. „Ich muss jeden Tag früh aufstehen.“ Nach 5 Minuten beenden Sie bitte das Schreiben und betrachten Sie die bereits geschriebenen Sätze. Welches Gefühl lösen diese Gedanken in Ihnen aus? Können Sie beim Lesen dieser Gedanken eine Reaktion im Körper spüren?
2. Danach nehmen Sie einen neuen Zettel zur Hand und ändern die Satzanfänge von „Ich muss“ auf „Ich entscheide mich zu/für“. Betrachten Sie auch diese Sätze, nach dem Sie alle fertig notiert haben und achten Sie auch hier auf das entsprechende Körpergefühl. Hat sich im Vergleich zu den „Ich muss“ Sätzen etwas an Ihrem Gefühl verändert? Wenn ja, wie? Versuchen Sie es zu beschreiben, und notieren Sie Ihre Erkenntnisse.
3. Zum Abschluss dieser Übung fügen Sie zu den geänderten Sätzen noch eine Begründung dazu, z.B. „Ich entscheide mich dafür, jeden Tag früh aufzustehen, weil ich in der Früh am besten Arbeiten kann.“
Durch diese Umformulierung wird klar, dass eigentlich ICH selbst für die eigenen Anforderungen verantwortlich bin bzw. auch eine Begründung hinter der Forderung liegt. Oft hilft dieser Schritt um eine Forderung an sich selbst zu akzeptieren.
Ich wünsche Ihnen ganz viel Spaß bei dieser Übung und melde mich in Bälde mit weiteren Resilienzfaktoren!
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